Dufte!
Der Welt die Realität austreiben.
Bernd Pfarr
präsentiert seinen skurrilen Kosmos in zwei neuen Büchern
Von
Christian Gasser
Windschief ragen
Hauswände und spitze Dächer in den Himmel, Autos von gemütlicher
Rundlichkeit tuckern durch krumme Kleinstadt- und Vorortstrassen,
vorbei an Objekten von befremdlicher Vertrautheit und an ebenso
liebenswürdigen wie wunderlichen Zeitgenossen. Auch in den Häusern
drin ist keine Linie gerade, das Mobiliar ist von zeitlos altertümlicher
Modernität, und die elegantesten Lampen der Welt beleuchten das
Treiben der Protagonisten: Alles scheint in einen Zustand schwebender
Schwerelosigkeit gebannt – und unweigerlich sorgt man sich,
ob die Situation ihr Gleichgewicht wird wahren können, oder ob sie.......
Pfarr: "Ich
versuche, die Realität, die mich umgibt, nicht abzubilden, wie ich
sie sehe, sondern im Gegenteil, der Welt die Realität auszutreiben.
In meiner Arbeit versuche ich, ein Universum zu entwickeln, das
aus Elementen der Aussenwelt besteht. Diese verfremde ich aber nach
Belieben, bis meine Welt mit der ursprünglichen Realität gar nichts
mehr zu tun hat, aber in sich irgendwie stimmig und schlüssig ist
und eigentlich mich repräsentiert."
Natürlich kippen
die Situationen zumindest im übertragenen Sinne um und purzeln vergnügt
in eine überraschende Pointe, denn in Bernd Pfarrs gefährlichem
Alltag sind die natürlichen Schwerkräfte zugunsten der Logik des
Komischen aufgehoben, und so gewöhnliche Menschen wie Herr Sondermann,
Theseus, Sie und ich oder Frau Santabellavistamaggiore geraten in
die merkwürdigsten Lebenslagen.
Bernd
Pfarrs Comics sind seit einigen Jahren der schönste Grund, auch
als Nichtzürcher, bzw. Nichtschweizer das Magazin des Zürcher Tagesanzeigers
aufzuschlagen. Heute heisst seine Serie "Fin de Siécle",
und er karikiert entlarvende Nebensächlichkeiten unseres (Zusammen-)
Lebens. Früher hiess die Rubrik "Neulich....", und darin
illustrierte er – abwechselnd mit Kamagurka, Mattotti und Loustal
– besonders reizende "Faits Divers" aus der Presse,
die er nun für das Album "Gefährlicher Alltag" gesammelt
und koloriert hat.
Pfarr: "Ich
habe selber festgestellt, dass ich keine bedeutenden tagespolitischen
Meldungen genommen habe, sondern eher kleine Vorkommnisse, die durch
ihre Abstrusität so ein bisschen was zeigen über die Welt, in der
wir leben."
Illustriert?
Habe ich wirklich behauptet, Pfarr habe diese Unglücksfälle und
Verbrechen illustriert? – Das ist natürlich völlig falsch.
Pfarr illustriert nicht. Pfarr fasst eine Situation, die ihn anregt,
im ersten Panel nur zusammen, um sie dann, von Assoziationen gelenkt
und dank Gedankensprüngen abtreibend, umso freier weiterspinnen
zu können, Bild um Bild, bis sie sich in absurder Überspitzung oder
gar in heiterem Irrsinn auflöst.
Ein Beispiel:
Ein nacktes Pärchen ruft aus dem Kofferraum seines Wagens die Polizei
an. Sie hätten sich ausruhen wollen, und dabei sei der Deckel zugeschlagen.
Zum Glück, sagt der Mann, als die Polizei sie befreit, habe er sein
Funktelefon dabei gehabt. Mitzuverfolgen wie sich Bernd Pfarr an
einem Telefonkabel aus diesem Kofferraum hinaus nach Troja hangelt
(das nur dank eines Telefonanrufs aus dem Holzpferd dem Erdboden
hat gleichgemacht werden können) und sich von da ins Labyrinth des
Minotaurus wagt (aus dem Theseus sich nur retten konnte, weil er
etc.usw.), um schliesslich mit der Arche Noah zu stranden und an
deren verklemmter Türe zu rütteln, ist schwindelerregend. Virtuos.
Und komisch. Sehr komisch. Obschon das Telefon kurz nach der Sintflut
eher nutzlos ist.
Noah: "Tja,
das Funktelefon funktioniert einwandfrei, aber ich wüsste beim besten
Willen nicht, wen ich anrufen könnte."
Der
vierzigjährige Frankfurter Bernd Pfarr ist einer der erfolgreichsten
und produktivsten deutschen Comic-Zeichner und Cartoonisten. Neben
seinen Beiträgen für das Magazin des Tagesanzeigers zeichnet er
im deutschen Satiremagazin Titanic Episoden aus dem Alltag des biederen
Büroangestellten Sondermann, er schildert die Abenteuer von "Alex
der Rabe" im Reformhauskurier, und er erfreut die Leserschaft
des Zeitmagazins mit Cartoons. Ein Beispiel: "Eines Tages war
Zeus das Blitzeschleudern leid" – und lauerte einem nichtsahnenden
Passanten zur Abwechslung mal mit einer Torte auf.
Pfarrs Cartoons,
die er unter diesem Titel in einem prächtigen Farbband veröffentlicht
hat, sind allein graphisch schon sehr ungewöhnlich: Pfarr malt sie
mit Ölfarben auf grosse Leinwände, verkleinert sie dann auf Zeitschriftenformat
und versieht sie mit seinen eigenartigen Unterzeilen.
Die Diskrepanz
war schon immer ein Kennzeichen von Pfarrs Kosmos. Der mit Torten
werfende Zeus. Der Minotaurus, der Theseus’ Faden zu einem Wollknäuel
zusammenrollt. Pfarr spielt hemmungslos mit der Komik, die aus der
Konfrontation von Gegensätzen und der Verbindung von Unvereinbarem
entsteht. Mit opulenten Ölfarben malt er lange Comic-Nasen und verwundert
blickende Comic-Augen, er inszeniert altbekannte Slapstick-Szenen
in der Manier von Matisse, Beckmann oder Hopper, und den leichten
Humor seiner Bilder ergänzt, bricht, erweitert er mit den bewusst
unkomischen, dafür hochliterarisch gefärbten oder mit altmodischer
Umgangssprache gewürzten, immer aber pedantisch korrekten Legenden.
"Das ist ja dufte!"
Pfarr: "In
diesem Spektrum bewegt sich das eigentlich. Es ist immer ein Spiel
von Bild, von Wort, von Profanem, von Überstilisiertem. Das schafft
eine Spannung und, wie ich meine, auch Komik."
LEESON: Ihr
Kosmos wird ausserdem von Wiederholungen und Variationen belebt.
Gewisse Komparsen – der bereits erwähnte Theseus, aber auch
der Yeti oder Gott -, gewisse Requisiten wie das Negerradio oder
selbstgebastelte TNT-Bomben und gewisse Slapstick-Evergreens tauchen
immer wieder auf?
Pfarr: "Die
Geschichte von Theseus, der dank des Fadens der Ariadne den Ausgang
aus dem Labyrinth des Minotaurus findet, ist allgemein bekannt.
Das sind Elemente, mit denen man spielen kann, und man kann sich
vorstellen, was alles mit dem Faden passiert. Es ist eine sehr klassische
Situation, mit der ich aber sehr profane Witze verarbeite. Ich mache
gerne Torten- oder "Neger"-Witze ("Neger" natürlich
in Anführungszeichen), weil das völlig abgegriffene Motive sind.
Umso grösser der Reiz zu versuchen, da noch irgendwas rauszuziehen."
Während sich
Pfarr in "Gefährlicher Alltag" als Erzählung erweist,
ist er in "Eines Tages war Zeus das Blitzeschleudern leid"
der Cartoonist, der eine Situation in einem einzigen Bild verdichtet
und das Vor- und das Nachher aber noch andeutet und mitschwingen
lässt. Und wenn nicht die Stars der Mythologie auftreten, dann spielen
Herr Leibold, Heinz-Hedwig, die modebewusste Gerda, Frau Schott
oder Sigmar Kropp die Hauptrolle – biedere Zeitgenossen, die
zumeist einsam und etwas verloren ihre kuriosen Macken ausleben,
ihren bescheidenen Träumen nachhängen und von ihren grossen Ängsten
geplagt werden.
Pfarr: "Im
besten Fall, würd ich sagen, sind das kleine Kurzgeschichten, die
einen Moment beleuchten im Leben von jemandem. Durch diesen Moment
definiere ich diese Person, und im besten Falle hat man dann plîtzlich
das Gefühl, man kennt diese Person und die Welt, in der sie lebt,
und man kennt auch ihre Abgründe."
Es
gibt kaum etwas Schöneres als den feinen, intelligenten und schwerelosen
Humor von Bernd Pfarr, als seine von leiser Tristesse durchwirkte
Komik. Es gibt kaum etwas Angenehmeres als den spöttischen Blick,
den er in seinen Comics und Cartoons auf unsere Zeit, unsere Nachbarn
und uns selber wirft. Er zeichnet zwar merkwürdige Neurosen und
Phobien und weist freundlich auf die Absurdität so vieler Situationen
hin, die wir für selbstverständlich halten und als gegeben hinnehmen,
doch in keinem Bild prangert er etwas an, und er geisselt nichts
und niemand.
Pfarr: "Ich
bin kein Satiriker. Für mich hat der Begriff ’Satire’ immer etwas
Schulmeisterliches. Das ist eine Haltung, die ich ungern einnehme,
ganz einfach weil ich nicht der Meinung bin, dass ich Dinge besser
weiss. Ich finde vieles vielleicht skurril oder merkwürdig, aber
ich will mich nicht hinstellen und sagen: "Also Leute, ihr
macht da einen Riesenfehler, ich weiss natürlich viel besser, wie
es funktioniert.’"
Nein, diese
Haltung ist Bernd Pfarr fremd. Er hat sie nicht nötig. Er ergötzt
sich an der Welt, wie sie ist, und lotet das komische Potential
des Alltäglichen aus. Im Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und
Absurdität, Wunschvorstellung und Alptraum ist nichts mehr unmöglich,
das Banalste hat plötzlich magische Qualitäten, und die Gefahren
in Pfarrs "Gefährlichem Alltag" lauern – vor allem
seit Zeus, statt Blitze zu schleudern, nun Torten schmeisst –
ganz anderswo, als man sie erwartet. Aber von einem Zeichner und
Erzähler wie Bernd Pfarr lässt man sich noch so gerne überraschen
oder in die Irre führen.
Pfarr: "Was
ich häufig höre und mich freut, ist, wenn jemand sagt, er habe es
gelesen, interessant gefunden und gelacht, aber ganz klar sei’s
ihm nicht gewesen – da sei irgendwie noch ein Loch geblieben,
ein Hauch von Unverständnis. Das finde ich besonders spannend: Einen
Witz nicht bis zum bitteren Ende erzählen, sondern alles noch ein
bisschen schwebend lassen und damit auch die Phantasie des Betrachters
mit einbeziehen."
Deswegen nutzen
sich Bernd Pfarrs Comics und Cartoons nicht ab, und das erlaubt
es uns, seine Bücher wieder und wieder hervorzukramen und jedes
Mal mit demselben staunenden und glückseligen Vergnügen in seinen
skurrilen Kosmos einzutauchen. Ist das vielleicht so etwas wie Poesie?
Pfarr: "Genau,
ja! Poesie finde ich toll. Es ist ein sehr schöner Ausdruck. Im
besten Fall sind Sachen poetisch. Sie sind komisch, sie sind poetisch,
möglichst nicht lehrreich oder schulmeisterlich."
Bernd
Pfarr:
"Gefährlicher Alltag"
(48 Seiten, Farbe, Edition Moderne, DM 29.80.
Bernd
Pfarr:
"Als Zeus das Blitzeschleudern leid war"
(144 Seiten, Farbe, Zweitausendeins, 44 Mark) |