Here they come
now: Clinic – die neuen Helden aus Liverpool
Ein Konzert
als Erlebnis: Auf der Bühne ein veraltete, dröhnende Orgel, ein
Schlagzeuger, der wie Mo Tucker einst rudimentäre Rhythmusspuren
legt, während der Sänger und Gitarrist über Großstadtparanoia, »I.P.C.
subeditors« und »magic boots« referiert oder einfach nur formuliert
»Teeky-teeky-to-momenon«. Dazu verhallte Melodikaklänge, eine billige
Beatbox, merkwürdige Elektronika, Noise und Surf-Sound-Chöre. Referenzen:
Velvet Underground, Suicide, Beach Boys, Shangri-Las, Punk&Coolness.
Die Band dazu: Clinic. Heimat: Liverpool, England. LEESON sprach
mit Ade Blackburn, dem Sänger von Englands neuester, musikalischer
Hoffnung.
Von
Markus Zinsmaier
Eigentlich ist
es schon eine ganze Weile her, dass Ade in einer Band mit Namen »Pure
Morning« sang. Vier Jahre sind in einem immer schnellebigeren
Popbusiness eine halbe Ewigkeit. Geändert hat sich seit dem vor
allem eines, der Name seiner Band: Aus »Pure Morning«
ist »Clinic« geworden, seine musikalischen Mitstreiter
sind dieselben geblieben.
»Als
wir beschlossen ein eigenes kleines Label [»Aladdin’s
Cave of Golf«] in Liverpool zu gründen, schien es nur
folgerichtig auch den Namen der Band zu ändern. Schließlich
hatten wir uns musikalisch weiter entwickelt. Wir waren nicht mehr
länger eine reine Gitarren orientierte Band. Orgel, Melodika
und Sampling hatten an Bedeutung gewonnen und unseren Sound vielfältiger
gemacht« erinnert sich Ade, der zusammen mit seinen musikalischen
Mitstreitern »Clinic« Mitte 1997 ins Leben rief.
Davor gab es
»Pure Morning«, ein paar Singles und ihr Zwölf-Song-Feuerwerk
»Two inch Helium Buddah« [Radar Records], ein Album,
das mehr oder weniger unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit
vor sich hin lärmte, im NME als eine staubtrockene Mixtur aus
frühen Echo & the Bunnymen und Joy Division abgetan wurde
und doch zuallererst ein Punk-Album war – im gleichen Sinne
wie die frühen Fall-Platten Punk-Alben sind: Wenngleich Ade
auch hier schon Velvet Underground und Can als die großen
Einflüsse verstanden wissen will.
»Ich
habe seit meiner Schulzeit immer wieder in Bands gespielt; Bands
die allerdings nie irgendetwas veröffentlicht haben. Das begann
erst mit »Pure Morning«. Brian, den Bassisten und Carl,
den Schlagzeuger und auch Heartley unseren Gitarristen und Keyboardspieler,
die kenne ich alle noch aus der Schule. Wir haben uns in einem Club
nach einer Zeit wiedergetroffen und festgestellt, dass unsere musikalischen
Interessen und Einflüsse ganz ähnlich sind. So ist Pure
Morning entstanden. Als Ausgangspunkt dienten Sachen wie Velvet
Underground oder Can.
Einmal mehr
also Velvet Underground, einmal mehr Can, einmal mehr wilde amerikanische
Psychedelic, Punk-Flavour und deutscher Krautrock als Referenzen
einer jungen Band aus Liverpool.
Als zu Beginn
der Achtziger Jahre Julian Cope [Teardrop Explodes] und Pete de
Freitas [Echo & the Bunnymen] zu den musikalischen Endlosschleifen
von Can massenhaft LSD-Trips schmissen und über Liverpools
Musikszene fabulierten, sah das nicht anders aus. Die Vorbilder
gleichen sich, das Ergebnis ist grundverschieden.
»Mit den
Teardrop Explodes, Echo & the Bunnymen, Mighty Wah!, ja der
gesamten Liverpool-Punkszene bin ich aufgewachsen. Das war die Musik,
die damals im Radio, in den Clubs lief und die einen zu anderen
Sachen führte: Eben zu Velvet Underground, Roxy Music etc ...
Dennoch gibt es nicht eine spezifische Liverpool-Band, die einen
großen Einfluss auf mich gehabt hätte. Wenn, dann eher
eine ganze Reihe von Bands.« Bands, die gleichsam als Durchgangsstation
dienten, die hinführten zu diversen Sixties Acts und die selbst,
so Ade, unwichtiger waren als die Referenzen, auf die sie sich bezogen.
Bands aus Liverpool
gab es nichtsdestotrotz eine Menge, nicht nur in den letzten Jahren.
Bands, die beim Popliebhaber erst den Mythos der ehemaligen Industriehochburg
entstehen ließen und die Stadt mit Koordinaten versahen, die
von Michael Head und seinen Pale Fountains über die wiedererstarkten
Shack, von Echo & The Bunnymen, den Teardrop Explodes, Space,
den Boo Radleys, Half Man Half Biscuit, Lee Mavers, Prefab Sprout
und einem halben Dutzend anderer vielversprechender Acts bis hin
zu den unvermeidlichen »Fab Four« reichen.
»Liverpool
ist ein seltsamer Ort um Musik zu machen« konstatiert Ade
nüchtern und meint es auch so. Liverpool, der von Mythen überfrachtete
Ort, Heimstatt der Beatles, die noch immer einen Großteil
der »Touristenseite« von Liverpool stellen, sind für
Ade keinen Anlass für eine wie auch immer geartete Form von
Stolz: »Ich interessierte mich schon früher eigentlich
immer mehr für die Rolling Stones, wenn ich mich denn schon
für eine der beiden englischen Bands hätte entscheiden
müssen. Die Beatles überschatten Liverpool auf eine fast
schon unangenehme Art und Weise. Selbst wenn ich einige Sachen an
ihnen schätze, war da immer so ein merkwürdiger Beigeschmack.
Die Achtziger, Echo & the Bunnymen, die Teardrop Explodes und
Eric’s Club räumten damit ein bisschen auf. Zumindest
eine Zeit lang. Jetzt kommt das alles wieder zurück ... Bereits
seit den späten Achtzigern mit Bands wie den Las, die so schlecht
nicht waren, aber ihren Beatles-Einfluss sehr stark in den Vordergrund
rückten und dieses Erbe gleichsam fortführten. Einen Ort
wie das Eric’s gibt es heute leider nicht mehr. Alles ist kommerzieller
geworden. Eine derartige Punk-Attitude, wie es das Eric’s verkörperte,
wo Bands auftraten, die sich am Abend zuvor gegründet hatten,
kaum ihre Instrumente halten konnten und einfach auf die Bühne
gingen, so etwas war scheinbar nur damals möglich ...«
Damit zusammen
hängt natürlich auch, dass eine Szene, wie sie zu Beginn
der Achtziger bestand, heute in weite Ferne gerückt ist und
kommerzielle Gesichtpunkte mittlerweile im Zentrum stehen. Bands
gibt es noch immer eine Menge, doch alle scheinen für sich
alleine zu arbeiten. Eine Szene? Fehlanzeige.
Warum also verbindet
man mit Liverpool noch immer etwas Bestimmtes, ein Pop-Feeling und
eine kreative Hänger-Mentalität, die typische Liverpool
Malaise par excellence, die scheinbar nur in der Stadt im Norden
zu existieren scheint und die aus Michael Heads drogendurchflutetem
Strands-Album eine Platte der 90er Jahre macht und die auch den
süßlichen Pop von Ooberman aufwertet?
Man weiß
es nicht zu beantworten. Liverpool scheint noch immer ein Ort vielfältiger,
musikalischer Überraschungen zu sein, die auftauchen und wieder
verschwinden. »Clinic« sind einmal mehr so ein Fall,
eine Band die abseits von allem etwas ganz Eigenes entwickelt hat
und sich um die restliche Musikszene in Liverpool und auch England
relativ wenig schert.
»Natürlich
interessiere ich mich für Bands wie die Beta Band, Hefner oder
Arab Strap« wirft Ade ein. »Ich schätze nur nicht,
was die Musikpresse momentan macht: Alles in irgendwelche Szenen
einzuordnen. Ich finde es gut, wenn es keine Szene gibt, wenn Bands
unabhängig von einander gute Dinge rausbringen.«
Entscheidend,
so scheint es, waren für Clinic eh immer andere Dinge. Dinge,
Bands, Einflüsse, die man nicht zuerst mit Clinic in Verbindung
bringt, die nicht unbedingt etwas mit Liverpool zu tun haben und
die sich erst nach und nach herauskristallisieren und die gerade
die respektlose, musikalische Besonderheit der vier Engländer
verdeutlichen.
»Wir interessieren uns auch für HipHop, für African
Bambaata, Kraftwerk und alle möglichen Sachen. Auf unserer
letzten Single ›the second line‹ steht die Drummachine
im Vordergrund. Essentiell ist für uns diese minimalistische
Herangehensweise. Etwas das auch bei den Stooges, bei Velvet Underground
Bedeutung hatte. Andererseits mögen wir auch so Sixties-Girlgroups
wie die Ronettes oder die Shangri-Las mit diesen irren Falsetto-Backing-Vocals.
Wir versuchen intensive, minimalistische Musik mit Popversatzstücken
zu mischen ...«
Der Rhythmus
dient dabei als Ausgangspunkt bei der Entstehung der einzelnen Songs.
Ganz ähnlich wie einst bei Can. Ein Groove, ein Akkord und
etwas, das sich nach und nach entwickelt, aufbaut, abschwächt,
zersetzt und mit einem Sixties- Chor zurückkehrt. Can beschleunigt.
Velvet Underground remixt von Suicide. Die Beach Boys zusammen mit
den Shangri-Las als Backingband einer Punkband. Weird Popmusic.
Clinic als Pop/Kraut/ Sixties-Konzentrat.
Dazu Ade:«Wir versuchen das, was Can in sechs, sieben oder
was weiß ich wie viel Minuten gemacht haben in zwei bis drei
Minuten abzuhandeln.« Und weiter: »Es gibt nicht viele
Bands, die ihre Songs auf das Notwendigste zusammenkürzen.
Ich bin so derart gelangweilt von einem Großteil der Indiebands
und ihren Liveperformances, die einfach zu keinem Ende finden.«
Konsequenz: Ein »Clinic«-Konzert geht selten länger
als 40 Minuten. Nennen wir dies das »Anti-Can-Prinzip«
und wünschen uns, dass noch ein paar Acts, vor allem die schlimmen,
dieses Prinzip in Zukunft beherzigen! Danke!
Aber zurück
zu Ade, zu »Clinic« und ihrem Debütwerk, das nach
vier Clinic-Singles einen komplexeren Einblick in die musikalische
Welt der Liverpudlians werfen soll. An Produzenten-Drehreglern saß
Gareth Jones, der den Sommer hindurch zusammen mit »Clinic«
an diesem Album gearbeitet und auch schon die letzte Single [»The
second line«] produziert hat. Erwartet werden darf eine wilde
Mixtur, die auch vor psychedelischen Effekten nicht zurückschreckt.
Schlusswort Ade: «Das Album unterscheidet sich sehr stark
von unseren ersten Singles. Es wird zwischen langsamen Stücken
und Punksongs pendeln. Dann gibt es Instrumentals. Wir haben auf
dem Album neue Instrumente benutzt, Piano und diverse Effekte: Gitarreneffekte,
BBC-Sound-Effekte, Ozeanrauschen. Ein Song ist mit Walgesang unterlegt.
Es ist psychedelisch und bescheuert zugleich. Das Album ist mit
Samples, Drummachine und allem möglichen angereichert, ohne
deshalb nach ›Dark side of the moon‹ zu klingen.«
Das Debütalbum von »Clinic« erscheint Anfang des
Jahres bei Domino/Zomba. |