Nr. 11 / Februar 2000

















Gästebuch


Here they come now: Clinic – die neuen Helden aus Liverpool

Ein Konzert als Erlebnis: Auf der Bühne ein veraltete, dröhnende Orgel, ein Schlagzeuger, der wie Mo Tucker einst rudimentäre Rhythmusspuren legt, während der Sänger und Gitarrist über Großstadtparanoia, »I.P.C. subeditors« und »magic boots« referiert oder einfach nur formuliert »Teeky-teeky-to-momenon«. Dazu verhallte Melodikaklänge, eine billige Beatbox, merkwürdige Elektronika, Noise und Surf-Sound-Chöre. Referenzen: Velvet Underground, Suicide, Beach Boys, Shangri-Las, Punk&Coolness. Die Band dazu: Clinic. Heimat: Liverpool, England. LEESON sprach mit Ade Blackburn, dem Sänger von Englands neuester, musikalischer Hoffnung.

Von Markus Zinsmaier

Eigentlich ist es schon eine ganze Weile her, dass Ade in einer Band mit Namen »Pure Morning« sang. Vier Jahre sind in einem immer schnellebigeren Popbusiness eine halbe Ewigkeit. Geändert hat sich seit dem vor allem eines, der Name seiner Band: Aus »Pure Morning« ist »Clinic« geworden, seine musikalischen Mitstreiter sind dieselben geblieben.

»Als wir beschlossen ein eigenes kleines Label [»Aladdin’s Cave of Golf«] in Liverpool zu gründen, schien es nur folgerichtig auch den Namen der Band zu ändern. Schließlich hatten wir uns musikalisch weiter entwickelt. Wir waren nicht mehr länger eine reine Gitarren orientierte Band. Orgel, Melodika und Sampling hatten an Bedeutung gewonnen und unseren Sound vielfältiger gemacht« erinnert sich Ade, der zusammen mit seinen musikalischen Mitstreitern »Clinic« Mitte 1997 ins Leben rief.

Davor gab es »Pure Morning«, ein paar Singles und ihr Zwölf-Song-Feuerwerk »Two inch Helium Buddah« [Radar Records], ein Album, das mehr oder weniger unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit vor sich hin lärmte, im NME als eine staubtrockene Mixtur aus frühen Echo & the Bunnymen und Joy Division abgetan wurde und doch zuallererst ein Punk-Album war – im gleichen Sinne wie die frühen Fall-Platten Punk-Alben sind: Wenngleich Ade auch hier schon Velvet Underground und Can als die großen Einflüsse verstanden wissen will.

»Ich habe seit meiner Schulzeit immer wieder in Bands gespielt; Bands die allerdings nie irgendetwas veröffentlicht haben. Das begann erst mit »Pure Morning«. Brian, den Bassisten und Carl, den Schlagzeuger und auch Heartley unseren Gitarristen und Keyboardspieler, die kenne ich alle noch aus der Schule. Wir haben uns in einem Club nach einer Zeit wiedergetroffen und festgestellt, dass unsere musikalischen Interessen und Einflüsse ganz ähnlich sind. So ist Pure Morning entstanden. Als Ausgangspunkt dienten Sachen wie Velvet Underground oder Can.

Einmal mehr also Velvet Underground, einmal mehr Can, einmal mehr wilde amerikanische Psychedelic, Punk-Flavour und deutscher Krautrock als Referenzen einer jungen Band aus Liverpool.

Als zu Beginn der Achtziger Jahre Julian Cope [Teardrop Explodes] und Pete de Freitas [Echo & the Bunnymen] zu den musikalischen Endlosschleifen von Can massenhaft LSD-Trips schmissen und über Liverpools Musikszene fabulierten, sah das nicht anders aus. Die Vorbilder gleichen sich, das Ergebnis ist grundverschieden.

»Mit den Teardrop Explodes, Echo & the Bunnymen, Mighty Wah!, ja der gesamten Liverpool-Punkszene bin ich aufgewachsen. Das war die Musik, die damals im Radio, in den Clubs lief und die einen zu anderen Sachen führte: Eben zu Velvet Underground, Roxy Music etc ... Dennoch gibt es nicht eine spezifische Liverpool-Band, die einen großen Einfluss auf mich gehabt hätte. Wenn, dann eher eine ganze Reihe von Bands.« Bands, die gleichsam als Durchgangsstation dienten, die hinführten zu diversen Sixties Acts und die selbst, so Ade, unwichtiger waren als die Referenzen, auf die sie sich bezogen.

Bands aus Liverpool gab es nichtsdestotrotz eine Menge, nicht nur in den letzten Jahren. Bands, die beim Popliebhaber erst den Mythos der ehemaligen Industriehochburg entstehen ließen und die Stadt mit Koordinaten versahen, die von Michael Head und seinen Pale Fountains über die wiedererstarkten Shack, von Echo & The Bunnymen, den Teardrop Explodes, Space, den Boo Radleys, Half Man Half Biscuit, Lee Mavers, Prefab Sprout und einem halben Dutzend anderer vielversprechender Acts bis hin zu den unvermeidlichen »Fab Four« reichen.

»Liverpool ist ein seltsamer Ort um Musik zu machen« konstatiert Ade nüchtern und meint es auch so. Liverpool, der von Mythen überfrachtete Ort, Heimstatt der Beatles, die noch immer einen Großteil der »Touristenseite« von Liverpool stellen, sind für Ade keinen Anlass für eine wie auch immer geartete Form von Stolz: »Ich interessierte mich schon früher eigentlich immer mehr für die Rolling Stones, wenn ich mich denn schon für eine der beiden englischen Bands hätte entscheiden müssen. Die Beatles überschatten Liverpool auf eine fast schon unangenehme Art und Weise. Selbst wenn ich einige Sachen an ihnen schätze, war da immer so ein merkwürdiger Beigeschmack. Die Achtziger, Echo & the Bunnymen, die Teardrop Explodes und Eric’s Club räumten damit ein bisschen auf. Zumindest eine Zeit lang. Jetzt kommt das alles wieder zurück ... Bereits seit den späten Achtzigern mit Bands wie den Las, die so schlecht nicht waren, aber ihren Beatles-Einfluss sehr stark in den Vordergrund rückten und dieses Erbe gleichsam fortführten. Einen Ort wie das Eric’s gibt es heute leider nicht mehr. Alles ist kommerzieller geworden. Eine derartige Punk-Attitude, wie es das Eric’s verkörperte, wo Bands auftraten, die sich am Abend zuvor gegründet hatten, kaum ihre Instrumente halten konnten und einfach auf die Bühne gingen, so etwas war scheinbar nur damals möglich ...«

Damit zusammen hängt natürlich auch, dass eine Szene, wie sie zu Beginn der Achtziger bestand, heute in weite Ferne gerückt ist und kommerzielle Gesichtpunkte mittlerweile im Zentrum stehen. Bands gibt es noch immer eine Menge, doch alle scheinen für sich alleine zu arbeiten. Eine Szene? Fehlanzeige.

Warum also verbindet man mit Liverpool noch immer etwas Bestimmtes, ein Pop-Feeling und eine kreative Hänger-Mentalität, die typische Liverpool Malaise par excellence, die scheinbar nur in der Stadt im Norden zu existieren scheint und die aus Michael Heads drogendurchflutetem Strands-Album eine Platte der 90er Jahre macht und die auch den süßlichen Pop von Ooberman aufwertet?

Man weiß es nicht zu beantworten. Liverpool scheint noch immer ein Ort vielfältiger, musikalischer Überraschungen zu sein, die auftauchen und wieder verschwinden. »Clinic« sind einmal mehr so ein Fall, eine Band die abseits von allem etwas ganz Eigenes entwickelt hat und sich um die restliche Musikszene in Liverpool und auch England relativ wenig schert.

»Natürlich interessiere ich mich für Bands wie die Beta Band, Hefner oder Arab Strap« wirft Ade ein. »Ich schätze nur nicht, was die Musikpresse momentan macht: Alles in irgendwelche Szenen einzuordnen. Ich finde es gut, wenn es keine Szene gibt, wenn Bands unabhängig von einander gute Dinge rausbringen.«

Entscheidend, so scheint es, waren für Clinic eh immer andere Dinge. Dinge, Bands, Einflüsse, die man nicht zuerst mit Clinic in Verbindung bringt, die nicht unbedingt etwas mit Liverpool zu tun haben und die sich erst nach und nach herauskristallisieren und die gerade die respektlose, musikalische Besonderheit der vier Engländer verdeutlichen.
»Wir interessieren uns auch für HipHop, für African Bambaata, Kraftwerk und alle möglichen Sachen. Auf unserer letzten Single ›the second line‹ steht die Drummachine im Vordergrund. Essentiell ist für uns diese minimalistische Herangehensweise. Etwas das auch bei den Stooges, bei Velvet Underground Bedeutung hatte. Andererseits mögen wir auch so Sixties-Girlgroups wie die Ronettes oder die Shangri-Las mit diesen irren Falsetto-Backing-Vocals. Wir versuchen intensive, minimalistische Musik mit Popversatzstücken zu mischen ...«

Der Rhythmus dient dabei als Ausgangspunkt bei der Entstehung der einzelnen Songs. Ganz ähnlich wie einst bei Can. Ein Groove, ein Akkord und etwas, das sich nach und nach entwickelt, aufbaut, abschwächt, zersetzt und mit einem Sixties- Chor zurückkehrt. Can beschleunigt. Velvet Underground remixt von Suicide. Die Beach Boys zusammen mit den Shangri-Las als Backingband einer Punkband. Weird Popmusic. Clinic als Pop/Kraut/ Sixties-Konzentrat.
Dazu Ade:«Wir versuchen das, was Can in sechs, sieben oder was weiß ich wie viel Minuten gemacht haben in zwei bis drei Minuten abzuhandeln.« Und weiter: »Es gibt nicht viele Bands, die ihre Songs auf das Notwendigste zusammenkürzen. Ich bin so derart gelangweilt von einem Großteil der Indiebands und ihren Liveperformances, die einfach zu keinem Ende finden.« Konsequenz: Ein »Clinic«-Konzert geht selten länger als 40 Minuten. Nennen wir dies das »Anti-Can-Prinzip« und wünschen uns, dass noch ein paar Acts, vor allem die schlimmen, dieses Prinzip in Zukunft beherzigen! Danke!

Aber zurück zu Ade, zu »Clinic« und ihrem Debütwerk, das nach vier Clinic-Singles einen komplexeren Einblick in die musikalische Welt der Liverpudlians werfen soll. An Produzenten-Drehreglern saß Gareth Jones, der den Sommer hindurch zusammen mit »Clinic« an diesem Album gearbeitet und auch schon die letzte Single [»The second line«] produziert hat. Erwartet werden darf eine wilde Mixtur, die auch vor psychedelischen Effekten nicht zurückschreckt.
Schlusswort Ade: «Das Album unterscheidet sich sehr stark von unseren ersten Singles. Es wird zwischen langsamen Stücken und Punksongs pendeln. Dann gibt es Instrumentals. Wir haben auf dem Album neue Instrumente benutzt, Piano und diverse Effekte: Gitarreneffekte, BBC-Sound-Effekte, Ozeanrauschen. Ein Song ist mit Walgesang unterlegt. Es ist psychedelisch und bescheuert zugleich. Das Album ist mit Samples, Drummachine und allem möglichen angereichert, ohne deshalb nach ›Dark side of the moon‹ zu klingen.«
Das Debütalbum von »Clinic« erscheint Anfang des Jahres bei Domino/Zomba.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch