Comic-Tipps
Maschinengewehre
im Po
Für einmal
gilt es, nicht den letzten Schrei aus Japans Manga-Universum anzupreisen,
sondern sozusagen den ersten: "Astro Boy", Japans populärste
Comic-Ikone, die 1951 ihr erstes Abenteuer bestritt, aber erst jetzt
endlich, nach soviel Mangaschrott, auf Deutsch erscheint. "Astro
Boys" Schöpfer, Osamu Tezuka, gilt als der Vater des modernen
Manga. Zwischen 1951 und seinem Tod 1989 habe er über 150’000
Comic-Seiten gezeichnet, über 400 Bücher veröffentlicht,
21 Fernsehserien und knapp 60 Animationsfilme gemacht und über
180 Millionen Bücher verkauft. Nicht schlecht. "Astro
Boy" blieb aber immer seine erfolgreichste Figur: Ein süsser
Superroboter mit Superkräften (Maschinengewehre im Po! Ein
atomgetriebener 100,000-PS-Motor! Nasenradar! Computer im Kopf!),
der, wie es sich gehört, für das Gute kämpft, für
Frieden und Freiheit usw.
Die süffigen
und wunderbar gezeichneten Abenteuer um blutrünstige Cyborg-Hunde,
kriminelle Zauberkünstler oder den ersten zum Staatspräsidenten
gewählten Roboter entpuppen sich als moralische Fabeln: Nicht
selten stellt Tezuka die Frage nach dem Unterschied zwischen Robotern
und Menschen oder nach dem klügsten Umgang der Menschen mit
ihren Maschinen, und während sich die Roboter immer wieder
als die besseren Menschen erweisen, schleichen sich auch mal fortschrittskritische
Gedanken ein, die Tezuka vor allem in den USA Probleme mit der Zensur
einbrachten.
Christian Gasser
Osamu Tezuka:
"Astro Boy" (je 210 Seiten, Taschenbuchformat, schwarzweiss,
Carlsen Verlag, je 9,95 Mark/Franken)
Autoroute
du Soleil
Der letzte
Hochkamin Lothringens wird in die Luft gesprengt. Die arbeitslosen
Minenarbeiter erweisen ihm ihre letzte Referenz. Auch Karim Kemal,
Franzose maghrebinischer Abstammung, und der Italofranzose Alexandre
Barbiéri verfolgen dieses Ende einer Epoche mit. Zur selben
Zeit hält die rechtsextreme Front National in Nancy eine Versammlung
ab, und während die Braunen sich später am Abend mit den
Roten prügeln, vergnügt sich der Gigolo Karim mit der
Gattin des örtlichen Front-National-Führers, Dr. Raoul
Faurissier. Dieser ertappt ihn in flagranti, Karim kann dank Alexandres
Hilfe knapp entkommen, Faurissier schwört Rache, und das ist
der Beginn der Irrfahrt des ungleichen Duos: Von den Nazischergen
gejagt, hetzen Karim und Alexandre von Nancy bis nach Marseille,
und ihre wilde Flucht entlang der "Autoroute du Soleil",
der Autobahn, die den Norden mit dem Süden des Landes verbindet,
wird zur Reise tief ins Herzen des heutigen Frankreich: Baru konfrontiert
Karim und Alexandre mit Rassismus, Arbeitslosigkeit und Drogenelend,
er treibt sie durch die sinnlose Gewalt in Lyons Vorstädten,
sie schlagen sich mit Lastwagenfahrern, Vertretern,Drogendealern
und einem Alt-68er herum, sie übernachten in Autos, schmuddeligen
Motels, im Strassengraben und in Schlössern... Baru aber ist
kein Soziologe Baru ist ein begnadeter Erzähler und verknüpft
die thematischen Einzelstränge zu einem 430 Seiten dicken Strick
fesselnder Action. Der Franzose hat diesen rasanten Roadcomic ursprünglich
für den japanischen Markt gezeichnet und dabei die Qualitäten
der japanischen Mangas - den epischen Atem etwa, die Dynamik und
das Tempo - mit den Qualitäten der französischen "Bande
Dessinée" gekonnt vermischt. Das Resultat ist ein epochaler
Thriller mit Substanz.
Christian Gasser
Baru: "L’autoroute
du Soleil" (430 Seiten, schwarzweiss, Edition Moderne, 49,-
Mark/Franken)
American Beauties
Enid und Rebecca,
zwei Mädchen um die 18, verbringen ihre Nachmittage mit Vorliebe
im "Angels", einem besonders hässlichen und genau
deswegen finden sie "coolen" Diner. Sie tratschen, beobachten
die Gäste an den Nebentischen (ausnahmslos Satanisten! Kinderschänder!
Massenmörder!), lästern über Fernsehshows, Jungs
und Pop-Stars und von Zeit zu Zeit fragen sie sich, was sie mit
ihrer Zeit anfangen sollen. Denn Zeit haben sie genug. Die beiden
Mädchen haben die Highschool abgeschlossen, lassen sich durch
die Sommermonate treiben und verdrängen, so gut es geht, alle
Gedanken an die Zukunft.
Eigentlich
ist Daniel Clowes, einer der Stars der unabhängigen Comic-Szene
der USA, bekannt für seine kühle und sarkastische Auseinandersetzung
mit der Pop-Kultur und dem amerikanischen Spiessertum. Ganz anders
sein jüngster Wurf "Ghost World": Der Alltag von
Enid und Rebecca, zwei sehr normale Teenager, die sich - und auch
das ist normal - für aussergewöhnlich halten, könnte
kaum banaler und realistischer sein. Und Daniel Clowes verzichtet,
auch wenn das Ringen der beiden Freundinnen um Einzigartigkeit,
Coolness, Thrills und ewige Treue etwas Rührendes an sich hat,
auf seine übliche Ironie. Ganz im Gegenteil: Er beschwört
die Stimmungen und Spannungen dieser kurzen Phase zwischen Jugend
und Erwachsensein und das Ende einer innigen Mädchenfreundschaft,
ebenso behutsam wie humorvoll herauf.
"Ghost
World" war in den USA so erfolgreich, dass die Geschichte von
Enid und Rebecca derzeit verfilmt wird. Daniel Clowes schrieb das
Drehbuch, das Terry Zwigoff, Regisseur des preisgekrönten Dokumentarfilms
über Robert Crumb, mit Thora Birch ("American Beauty"),
Scarlett Johansson ("Der Pferdeflüsterer") und Steve
Buscemi umsetzt.
Christian Gasser
Daniel Clowes:
"Ghost World" (80 Seiten, Reprodukt Verlag, 24,90 Mark/Franken)
Kurz
[tb] Wer den
"Preacher" des amerikanischen Autoren Warren Ellis liebt,
der kommt um die Serie "Transmetropolitan" (Vertigo, monatlich
ein Doppel-Heft auf Deutsch; 9,95 Mark) ebenfalls nicht herum. Held
der grossartigen, zynischen Polit-Serie ist Spider Jerusalem, ein
durchgeknallter Journalist, der in einer dekadenten Grosstadt der
Zukunft (der Blade Runner lässt grüssen), Jagd auf korrupte
Politiker macht. Ein amüsanter Comic, bei dem Autor Ellis (Zeichner:
Darick Robertson) mit Spider Jerusalem, eine spannende Figur zwischen
Kotzbrocken und Kämpfer für Gerechtigkeit gelungen ist.
Die Serie läuft auf Deutsch schon seit Herbst 1999, trotzdem
hier der Hinweis. Zur Zeit (Juni) liegt Band 14 vor, der die Original
Heftchen 27 und 28 bringt.
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