Nr. 12 / Juli 2000

















Gästebuch


Comic-Tipps

Maschinengewehre im Po

Für einmal gilt es, nicht den letzten Schrei aus Japans Manga-Universum anzupreisen, sondern sozusagen den ersten: "Astro Boy", Japans populärste Comic-Ikone, die 1951 ihr erstes Abenteuer bestritt, aber erst jetzt endlich, nach soviel Mangaschrott, auf Deutsch erscheint. "Astro Boys" Schöpfer, Osamu Tezuka, gilt als der Vater des modernen Manga. Zwischen 1951 und seinem Tod 1989 habe er über 150’000 Comic-Seiten gezeichnet, über 400 Bücher veröffentlicht, 21 Fernsehserien und knapp 60 Animationsfilme gemacht und über 180 Millionen Bücher verkauft. Nicht schlecht. "Astro Boy" blieb aber immer seine erfolgreichste Figur: Ein süsser Superroboter mit Superkräften (Maschinengewehre im Po! Ein atomgetriebener 100,000-PS-Motor! Nasenradar! Computer im Kopf!), der, wie es sich gehört, für das Gute kämpft, für Frieden und Freiheit usw.

Die süffigen und wunderbar gezeichneten Abenteuer um blutrünstige Cyborg-Hunde, kriminelle Zauberkünstler oder den ersten zum Staatspräsidenten gewählten Roboter entpuppen sich als moralische Fabeln: Nicht selten stellt Tezuka die Frage nach dem Unterschied zwischen Robotern und Menschen oder nach dem klügsten Umgang der Menschen mit ihren Maschinen, und während sich die Roboter immer wieder als die besseren Menschen erweisen, schleichen sich auch mal fortschrittskritische Gedanken ein, die Tezuka vor allem in den USA Probleme mit der Zensur einbrachten.

Christian Gasser

Osamu Tezuka: "Astro Boy" (je 210 Seiten, Taschenbuchformat, schwarzweiss, Carlsen Verlag, je 9,95 Mark/Franken)

Autoroute du Soleil

Der letzte Hochkamin Lothringens wird in die Luft gesprengt. Die arbeitslosen Minenarbeiter erweisen ihm ihre letzte Referenz. Auch Karim Kemal, Franzose maghrebinischer Abstammung, und der Italofranzose Alexandre Barbiéri verfolgen dieses Ende einer Epoche mit. Zur selben Zeit hält die rechtsextreme Front National in Nancy eine Versammlung ab, und während die Braunen sich später am Abend mit den Roten prügeln, vergnügt sich der Gigolo Karim mit der Gattin des örtlichen Front-National-Führers, Dr. Raoul Faurissier. Dieser ertappt ihn in flagranti, Karim kann dank Alexandres Hilfe knapp entkommen, Faurissier schwört Rache, und das ist der Beginn der Irrfahrt des ungleichen Duos: Von den Nazischergen gejagt, hetzen Karim und Alexandre von Nancy bis nach Marseille, und ihre wilde Flucht entlang der "Autoroute du Soleil", der Autobahn, die den Norden mit dem Süden des Landes verbindet, wird zur Reise tief ins Herzen des heutigen Frankreich: Baru konfrontiert Karim und Alexandre mit Rassismus, Arbeitslosigkeit und Drogenelend, er treibt sie durch die sinnlose Gewalt in Lyons Vorstädten, sie schlagen sich mit Lastwagenfahrern, Vertretern,Drogendealern und einem Alt-68er herum, sie übernachten in Autos, schmuddeligen Motels, im Strassengraben und in Schlössern... Baru aber ist kein Soziologe Baru ist ein begnadeter Erzähler und verknüpft die thematischen Einzelstränge zu einem 430 Seiten dicken Strick fesselnder Action. Der Franzose hat diesen rasanten Roadcomic ursprünglich für den japanischen Markt gezeichnet und dabei die Qualitäten der japanischen Mangas - den epischen Atem etwa, die Dynamik und das Tempo - mit den Qualitäten der französischen "Bande Dessinée" gekonnt vermischt. Das Resultat ist ein epochaler Thriller mit Substanz.

Christian Gasser

Baru: "L’autoroute du Soleil" (430 Seiten, schwarzweiss, Edition Moderne, 49,- Mark/Franken)

American Beauties

Enid und Rebecca, zwei Mädchen um die 18, verbringen ihre Nachmittage mit Vorliebe im "Angels", einem besonders hässlichen und genau deswegen finden sie "coolen" Diner. Sie tratschen, beobachten die Gäste an den Nebentischen (ausnahmslos Satanisten! Kinderschänder! Massenmörder!), lästern über Fernsehshows, Jungs und Pop-Stars und von Zeit zu Zeit fragen sie sich, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Denn Zeit haben sie genug. Die beiden Mädchen haben die Highschool abgeschlossen, lassen sich durch die Sommermonate treiben und verdrängen, so gut es geht, alle Gedanken an die Zukunft.

Eigentlich ist Daniel Clowes, einer der Stars der unabhängigen Comic-Szene der USA, bekannt für seine kühle und sarkastische Auseinandersetzung mit der Pop-Kultur und dem amerikanischen Spiessertum. Ganz anders sein jüngster Wurf "Ghost World": Der Alltag von Enid und Rebecca, zwei sehr normale Teenager, die sich - und auch das ist normal - für aussergewöhnlich halten, könnte kaum banaler und realistischer sein. Und Daniel Clowes verzichtet, auch wenn das Ringen der beiden Freundinnen um Einzigartigkeit, Coolness, Thrills und ewige Treue etwas Rührendes an sich hat, auf seine übliche Ironie. Ganz im Gegenteil: Er beschwört die Stimmungen und Spannungen dieser kurzen Phase zwischen Jugend und Erwachsensein und das Ende einer innigen Mädchenfreundschaft, ebenso behutsam wie humorvoll herauf.

"Ghost World" war in den USA so erfolgreich, dass die Geschichte von Enid und Rebecca derzeit verfilmt wird. Daniel Clowes schrieb das Drehbuch, das Terry Zwigoff, Regisseur des preisgekrönten Dokumentarfilms über Robert Crumb, mit Thora Birch ("American Beauty"), Scarlett Johansson ("Der Pferdeflüsterer") und Steve Buscemi umsetzt.

Christian Gasser

Daniel Clowes: "Ghost World" (80 Seiten, Reprodukt Verlag, 24,90 Mark/Franken)

Kurz

[tb] Wer den "Preacher" des amerikanischen Autoren Warren Ellis liebt, der kommt um die Serie "Transmetropolitan" (Vertigo, monatlich ein Doppel-Heft auf Deutsch; 9,95 Mark) ebenfalls nicht herum. Held der grossartigen, zynischen Polit-Serie ist Spider Jerusalem, ein durchgeknallter Journalist, der in einer dekadenten Grosstadt der Zukunft (der Blade Runner lässt grüssen), Jagd auf korrupte Politiker macht. Ein amüsanter Comic, bei dem Autor Ellis (Zeichner: Darick Robertson) mit Spider Jerusalem, eine spannende Figur zwischen Kotzbrocken und Kämpfer für Gerechtigkeit gelungen ist. Die Serie läuft auf Deutsch schon seit Herbst 1999, trotzdem hier der Hinweis. Zur Zeit (Juni) liegt Band 14 vor, der die Original Heftchen 27 und 28 bringt.

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch