Nr. 5 / März 1997

















Gästebuch


Das ganze Geheimnis

Die Jungle-Produzenten Roni Size und DJ Krust

Von Marcus Mohr

London ist auf jeden Fall die Hauptstadt dieser Musik - nenn’ sie Jungle, Breakbeat oder Drum & Bass: Goldie und seine Metalheadz-Crew spielen jeden Sonntag im Blue Note ihre futuristischen Tracks, LTJ Bukem enterte mit harmonischem "Intelligent" Drum & Bass auch so renommierte Clubs wie das Ministry Of Sound, und der Piratensender KOOL FM versorgt die Ghettoblaster und Jeeps mit den rauhesten Street-Tunes. Wenn es aber um Musik geht, die gleichermaßen intelligent, rauh und absolut neu ist, ist man in der englischen Provinz an der richtigen Adresse: Bristol. Hier produzieren Roni Size und DJ Krust schon heute die Musik, die morgen die gesamte Drum & Bass-Szene beeinflussen wird.

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Roni Size und DJ Krust

Niemand weiß das besser als die beiden selbst - und sie erzählen es jedem, der es hören will: "Alle waren sauer, als Roni und ich gesagt haben: Wir sind nicht fortschrittlich, die anderen hinken nur hinterher. Aber schau doch mal genau hin: Sobald ein Track von uns auf V-Recordings, Full Cycle, Dope Dragon oder Philly Blunt herauskommt, wird es kopiert. Der Witz ist nur, daß dann ein Tune kopiert wird, der mindestens ein Jahr alt ist. In jedem anderen Business bist du draußen, wenn du eine Idee kopierst, die ein Jahr alt ist. Und verdammt nochmal, "Concentration" ist ein Jahr alt, "Bass Switch" ist ein Jahr alt und wenn "Square Off" rauskommt, wird es auch ein Jahr alt sein."

DJ Krust spielte an diesem Abend Ende letzten Jahres das mittlerweile regulär erschienene "Square Off" noch als Dub-Plate - und der Globus-Club im Berliner Tresor stand Kopf. Lange hatte es hier keine Jungle-Events mehr gegeben, aber diesesmal war der Laden voll. Spätestens seit ihrem Deal mit Talking Loud sind Roni und Krust das, was man zugkräftige Namen nennt.

Krust: "Mann, alle meine Träume sind wahr geworden. Als ich noch zur Schule gegangen bin, haben sie zu mir gesagt: Thompson, du bist der letzte Dreck, aus dir wird nie was. Und jetzt? Jetzt habe ich mein eigenes Business, war auf den Titelseiten fast aller Magazine, und Leute auf der ganzen Welt reden über mich. Mit dreizehn habe ich angefangen, auf dem alten Schallplattenspieler meiner Mom zu scratchen und hab gewußt: Eines Tages schaffst du’s..."

Als Krusts Bruder Flynn (heute ein Teil von Flynn & Flora) gemeinsam mit Smith & Mighty den Track "Wishing On A Star" aufgenommen hatte, sah es kurzzeitig schon einmal so aus, als hätten sie es geschafft. Krust trat mit ihnen zusammen als Fresh Four auf, die Plattenfirma schoß 90 000 Pfund für ein Album vor und das Leben war eine einzige Party - bis die Plattenfirma den Hahn zudrehte.

Krust: "Damals traf ich Roni. Wir hatten uns beide um denselben Job beworben und kamen so ins Gespräch. Flynn, Smith & Mighty und ich hatten zu dieser Zeit ein kleines Label (Twisted), das nicht besonders gut lief, Roni brachte ein Tape vorbei und wir begannen uns immer öfter zu sehen."

Während Krusts Background definitiv HipHop ist, hört man immer wieder über Roni Size, daß er früher Reggae produziert habe. Als ich ihn einige Wochen später treffe, meint er jedoch: "So kann man das eigentlich nicht sagen. Bei mir ging es immer darum, MUSIK zu machen, mit dem Equipment zu experimentieren. Zuerst mixte ich einfach nur mit zwei Decks, was mich aber schnell langweilte. Nachdem ich von der Schule geflogen war, hing ich die meiste Zeit in einem Jugendhaus rum, in dessen Keller ein kleines Studio eingerichtet war: ein paar Drummachines und verschiedene Keyboards. Ich habe mehrere Stile ausprobiert: HipHop, Reggae, Soul. Reggae wurde allerdings schnell mein favorisierter Musikstil, wegen seiner kantigen Drumpatterns und dem massiven Bass. Aber mit diesen verschiedenen Stilen war das so eine Sache - es war ja alles schon einmal gemacht worden: Reggae in Jamaica, HipHop in Amerika. Überhaupt gab es Anfang der 90er nicht viel Neues. Natürlich habe ich die Rave-Sachen gehört, aber ich hab’s nicht sonderlich gemocht: all the cheesy pianos they were using..."

Was die beiden dann allerdings doch beinflußte, waren die hochgepitchten HipHop-Breaks, die einige Rave-DJs in ihre Housebeats mixten. Roni und Krust begannen immer experimentellere Tracks aufzunehmen, aber niemand interessierte sich dafür - bis Bryan Gee anrief. Rhythm King, das Londoner Label für das Bryan Gee damals gearbeitet hatte, war gerade Pleite gegangen, und kurzerhand hatte Bryan das Tape mitgenommen, das ihnen Roni als Demo zugeschickt hatte. Bryan meldete sich bei Roni und Krust, setzte sich mit ihnen zusammen und damit war V-Recordings eigentlich schon geboren.

Krust: "Dieses Jahr ist V-Recordings bei den "Jungle-V.I.P.-Awards" zum besten Label gewählt worden. Auf allen Promos steht: "Setting the pace". Genau darum geht es. Manchmal produzieren wir Tracks, bei denen wir uns alles andere als sicher sind. Aber das liegt nur daran, daß sie eben anders sind. Etwas neues mag man nicht immer sofort. Wir haben jetzt zum Beispiel einen Tune gemacht, der "Independance Day" heißt. Obwohl wir gleich davon ein Dub-Plate geschnitten haben, habe ich es noch nicht gespielt. Die Zeit ist dafür einfach noch nicht reif. Vielleicht in einem Jahr..."

Auf meine Frage, was denn den Sound aus Bristol so eigenständig mache, will mir Roni Size dann später die Mär vom relaxten Bristol erzählen, die man dort seit Massive Attack ja jedem andreht. Als ich daraufhin meine, ob er einen Jump-Up-Track wie "Square Off" wirklich "laid back" finde, muß er dann aber doch lachen: "Okay, you got me there. Aber es hat trotzdem damit zu tun, daß Bristol eben nicht London ist. Dort klingen die Tracks alle so ähnlich, was ja auch ganz klar ist: Wenn ich hundert Mal das selbe Stück höre und dann ins Studio gehe, bin ich natürlich davon beeinflußt. Wenn Krust und ich in London sind, kriegen wir natürlich auch unsere Kicks. Einmal hatten wir auf dem Rückweg nach Bristol Kool FM im Radio eingestellt und sie spielten diesen Wahnsinns-Track. Je weiter wir aus der Stadt herausfuhren, desto schwächer wurde das Sendesignal. Wir kurbelten wie verrückt am Radio rum, aber irgendwann war er weg. Da wir den Tune nicht wieder und wieder hören konnten, mußten wir nun auf unsere eigene Art versuchen, dieses Feeling hinzukriegen. Vielleicht ist das das ganze Geheimnis..."

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch