Nr. 8 / Juni 1998

















Gästebuch


Comic-Tips

Neue Comics

Von Christian Gasser

Karnickel und Karotten

Hauskalender fürs Jahr 2001

Karate- und andere Küken

Shopping Center Schweiz

 

Karnickel und Karotten

hase.gif (28677 Byte)Ein größenwahnsinniger Wissenschaftler erfindet ein Pulver, das Menschen besser macht, die Geheimpolizei und die obligaten fremden Mächte üben sich in Verschwörungen, eine Leiche verschwindet, Menschen werden entführt, Monster und Mutationen bedrohen die Stadt – und durch dieses Labyrinth trivialer Versatzstücke aus den Kolportagethrillern der Jahrhundertwende hoppelt Herr Hase, Beruf: Charmanter Comic-Antiheld.

Mit Herrn Hase hat Lewis Trondheim – ein Autodidakt, der vor zehn Jahren noch nicht einmal Knollennasen zeichnen konnte, unterdessen als Gründungsmitglied des französischen Autorenverlags L´Association die Comic-Szene gründlich aufgemischt hat und heute mehrere Comics pro Jahr veröffentlicht (darunter autobiographische Enthüllungen, minimale Experi- mente, hirnrissige Strips u.v.m.) – die schrägste und schönste neue Comic-Serie für jung und alt geschaffen.

Je nach Album tummelt sich Herr Hase mit den langen Ohren und den langen Füßen im heutigen Frankreich, oder er schießt sich durch den Wilden Westen oder ißt, wie im ersten auf Deutsch übersetzten Band, seine Ka-rotten im Paris der Jahrhundertwende. All seinen Abenteuern ist gemein, daß Trondheim außerordentlich süffig schreibt und flüssig zeichnet und dank seines trockenen Humors nicht mit Überraschungen, Haken und Wi-derhaken, Anspielungen, philosophischem Quark und anderen Haarsträubereien geizt. Köstliches Comic-Vergnügen für jung und alt, ich würde sogar sagen: Für die ominösen „von 7 bis 77 Jahre".

Lewis Trondheim: „Herrn Hases Haarsträubende Abenteuer 1 – Walter" (Carlsen Verlag, 18.90.-)

Karate- und andere Küken

kken.gif (5373 Byte)Das Tamagotchi fiepst aufdringlich – das Kükenbuch drängt sich still, aber unwiderstehlich auf. Das Tamagotchi heischt Pflege und Unterhaltung – das Kükenbuch unterhält und beglückt. Der deutsche Cartoonist Gunter Hansen, Tierfreund der besonderen Art, zeichnet das legendäre Karate-Küken und das Gorilla-Küken, er zeichnet das Schaltzentrum der (Küken-)Macht und Ficktips für Küken, Kirschkernfußballspiele, den Club der Mauerblümchen und Küken beim Bügeln. Bibis sind niedlich – Hansens Cartoons auch, und außerdem sind sie lustig, weise, rührend, melancholisch und bisweilen pechschwarz oder fies und hinterfotzig, und sie erzielen die tiefe Wirkung hoher Komik: Sie bringen uns zum Lachen, obschon sie eigentlich traurig sind, und wenn dann das Lachen langsam erstirbt und die Melancholie uns ergreift, schenken sie flauschigen und kükenknuddeligen Trost.

Ja, es gibt ein Leben nach dem, beziehungsweise ohne das Tamagotchi. Es heißt „Das Kükenbuch", es ist hübsch und handlich, gut gedruckt und nicht teuer.

Gunter Hansen: „Das Kükenbuch" (Edition Moderne, 14.80.-)

Hauskalender fürs Jahr 2001

hauskale.gif (39336 Byte)Egal welchen amerikanischen Zeichner man nach seinen gegenwärtigen Comic-Lieblingen befragt, der Name Chris Ware fällt bestimmt. Das überrascht nur wenig, wenn man seine „ACME Novelty Library" in die Hand nimmt: In den bisher neun unübersichtlich numerierten und unterschiedlich großen Heften hat der Zeichner aus Chicago, der seine vieltausendwinzigpaneligen Comics auch schon in Art Spiegelmans „RAW" veröffentlichte, seinen eigenen, kleinen Kosmos geschaffen, in der die Comics neben Tips für den Alltag, wunderbaren Ba-stelbögen, klugen Leserbriefen, befremdlichen Lebensweisheiten und ähnlich Anregendem stehen.

Chris Wares Welt ist nicht von heute, sondern von gestern. Nicht selten mahnen das Layout und die Illustrationen an die Hauskalender der Jahrhundertwende, und mit demselben Charme des Angejahrten kokettieren auch seine Comics um „Jim Corrigan", „Quimby The Mouse" und „Sparky". Gerade die Abenteuer letzterer Wesen – einer dürren Maus, beziehungsweise einer nur aus dem Kopf bestehenden Katze – verweisen auf Bekanntes: Sie sind oft nur eine kunst- und liebevoll gesetzte Seite lang, und die Abfolgen winziger Panels lesen sich nicht nur wie Trickfilme, son-dern spielen auch gleich die stereotypen Szenen amerikanischer Trickfilme (Katze jagt Maus jagt Katze u.ä., bzw. u.s.w.) durch – nur daß Chris Ware nicht selten Falltüren einbaut, an die selbst Tex Avery nicht gedacht hätte. In den Geschichten um Jimmy Corrigan („smartest kid on earth" mit übergroßem Hohlschädel, blanker Greisenglatze und traurigen Augen) scheint man auf den ersten Blick in der Gegenwart zu verweilen, purzelt in Wahrheit aber in eine an sich banale, aber immer faszinierende und meistens natürlich absurde Parallelwelt, die näher zu umschreiben nicht die Aufgabe dieser kurzen Rezension sein kann. Man kann nur eins tun: Augen öffnen und in Jimmy Corrigans ebenso vertraut wirkenden wie surreal verwirrenden Alltag tauchen und über seine kleinen Geschichten traurig lächeln.

Chris Ware: „ACME Novelty Library" (bisher 9 Hefte in verschiedenen Formaten; Fantagraphics Comics)

Shopping Center Schweiz

eva.gif (26804 Byte)Eva Grdjic heißt die neue Figur des helvetischen Zeichner- und Autorengespanns Felix Schaad und Claude Jaermann, und wie schon ihren früheren Möchtegernhelden Zwicky kennen wir alle auch Eva bestens – sie ist niemand anders als die Kassierin des Supermarkts unseres Vertrauens.

Das kräftige Weib mit mürrischem Gesichtsausdruck ist Ausländerin, unter-bezahlt und den Launen ihrer Vorgesetzten und der Konjunk-tur ausgeliefert – und hat dabei den notwendigen Mutter-witz entwickelt, um trotz aller Rückschläge auf den unteren Stufen der sozialen Leiter zu überleben. Tag für Tag sitzt Eva an der Kasse des Shopping Center Cosmos, betreut den Kundendienst oder füllt Regale auf – und an ihr defiliert die ganze Gesellschaft, also auch du und ich, vorbei.

Die großen kleinen Dramen aus Evas Alltag haben Jaermann und Schaad mit nicht selten bitterem Humor zu träfen Episoden mit langer Haltbarkeit über die Cosmos-Data hinaus aufgezeichnet und erweisen sich auch hier als be-gnadete Chronisten des Lebens im Shopping Center Schweiz (dessen Angebotspalette sich von der des Shopping Centers Süddeutschland wohl kaum unterscheidet …).

Jaermann/Schaad: „Eva" (Sewicky Verlag, 24.80.-)

Letzte Änderungen: 28.12.2001
Produziert von
Peter Pötsch