Comic-Tips
Neue Comics
Von Christian Gasser
Karnickel
und Karotten
Hauskalender
fürs Jahr 2001
Karate- und
andere Küken
Shopping
Center Schweiz
Ein größenwahnsinniger Wissenschaftler erfindet ein Pulver, das
Menschen besser macht, die Geheimpolizei und die obligaten fremden Mächte üben sich in
Verschwörungen, eine Leiche verschwindet, Menschen werden entführt, Monster und
Mutationen bedrohen die Stadt – und durch dieses Labyrinth trivialer Versatzstücke
aus den Kolportagethrillern der Jahrhundertwende hoppelt Herr Hase, Beruf: Charmanter
Comic-Antiheld.
Mit Herrn Hase hat Lewis Trondheim – ein Autodidakt,
der vor zehn Jahren noch nicht einmal Knollennasen zeichnen konnte, unterdessen als
Gründungsmitglied des französischen Autorenverlags L´Association die Comic-Szene
gründlich aufgemischt hat und heute mehrere Comics pro Jahr veröffentlicht (darunter
autobiographische Enthüllungen, minimale Experi- mente, hirnrissige Strips u.v.m.) –
die schrägste und schönste neue Comic-Serie für jung und alt geschaffen.
Je nach Album tummelt sich Herr Hase mit den langen Ohren
und den langen Füßen im heutigen Frankreich, oder er schießt sich durch den Wilden
Westen oder ißt, wie im ersten auf Deutsch übersetzten Band, seine Ka-rotten im Paris
der Jahrhundertwende. All seinen Abenteuern ist gemein, daß Trondheim außerordentlich
süffig schreibt und flüssig zeichnet und dank seines trockenen Humors nicht mit
Überraschungen, Haken und Wi-derhaken, Anspielungen, philosophischem Quark und anderen
Haarsträubereien geizt. Köstliches Comic-Vergnügen für jung und alt, ich würde sogar
sagen: Für die ominösen „von 7 bis 77 Jahre".
Lewis Trondheim: „Herrn Hases Haarsträubende
Abenteuer 1 – Walter" (Carlsen Verlag, 18.90.-)
Karate-
und andere Küken
Das Tamagotchi fiepst aufdringlich – das Kükenbuch drängt
sich still, aber unwiderstehlich auf. Das Tamagotchi heischt Pflege und Unterhaltung
– das Kükenbuch unterhält und beglückt. Der deutsche Cartoonist Gunter Hansen,
Tierfreund der besonderen Art, zeichnet das legendäre Karate-Küken und das
Gorilla-Küken, er zeichnet das Schaltzentrum der (Küken-)Macht und Ficktips für Küken,
Kirschkernfußballspiele, den Club der Mauerblümchen und Küken beim Bügeln. Bibis sind
niedlich – Hansens Cartoons auch, und außerdem sind sie lustig, weise, rührend,
melancholisch und bisweilen pechschwarz oder fies und hinterfotzig, und sie erzielen die
tiefe Wirkung hoher Komik: Sie bringen uns zum Lachen, obschon sie eigentlich traurig
sind, und wenn dann das Lachen langsam erstirbt und die Melancholie uns ergreift, schenken
sie flauschigen und kükenknuddeligen Trost.
Ja, es gibt ein Leben nach dem, beziehungsweise ohne das
Tamagotchi. Es heißt „Das Kükenbuch", es ist hübsch und handlich, gut
gedruckt und nicht teuer.
Gunter Hansen: „Das Kükenbuch" (Edition
Moderne, 14.80.-)
Hauskalender fürs Jahr 2001
Egal welchen amerikanischen Zeichner man nach
seinen gegenwärtigen Comic-Lieblingen befragt, der Name Chris Ware fällt bestimmt. Das
überrascht nur wenig, wenn man seine „ACME Novelty Library" in die Hand nimmt:
In den bisher neun unübersichtlich numerierten und unterschiedlich großen Heften hat der
Zeichner aus Chicago, der seine vieltausendwinzigpaneligen Comics auch schon in Art
Spiegelmans „RAW" veröffentlichte, seinen eigenen, kleinen Kosmos geschaffen,
in der die Comics neben Tips für den Alltag, wunderbaren Ba-stelbögen, klugen
Leserbriefen, befremdlichen Lebensweisheiten und ähnlich Anregendem stehen.
Chris Wares Welt ist nicht von heute, sondern von gestern.
Nicht selten mahnen das Layout und die Illustrationen an die Hauskalender der
Jahrhundertwende, und mit demselben Charme des Angejahrten kokettieren auch seine Comics
um „Jim Corrigan", „Quimby The Mouse" und „Sparky". Gerade
die Abenteuer letzterer Wesen – einer dürren Maus, beziehungsweise einer nur aus dem
Kopf bestehenden Katze – verweisen auf Bekanntes: Sie sind oft nur eine kunst- und
liebevoll gesetzte Seite lang, und die Abfolgen winziger Panels lesen sich nicht nur wie
Trickfilme, son-dern spielen auch gleich die stereotypen Szenen amerikanischer Trickfilme
(Katze jagt Maus jagt Katze u.ä., bzw. u.s.w.) durch – nur daß Chris Ware nicht
selten Falltüren einbaut, an die selbst Tex Avery nicht gedacht hätte. In den
Geschichten um Jimmy Corrigan („smartest kid on earth" mit übergroßem
Hohlschädel, blanker Greisenglatze und traurigen Augen) scheint man auf den ersten Blick
in der Gegenwart zu verweilen, purzelt in Wahrheit aber in eine an sich banale, aber immer
faszinierende und meistens natürlich absurde Parallelwelt, die näher zu umschreiben
nicht die Aufgabe dieser kurzen Rezension sein kann. Man kann nur eins tun: Augen öffnen
und in Jimmy Corrigans ebenso vertraut wirkenden wie surreal verwirrenden Alltag tauchen
und über seine kleinen Geschichten traurig lächeln.
Chris Ware: „ACME Novelty Library" (bisher 9
Hefte in verschiedenen Formaten; Fantagraphics Comics)
Shopping Center Schweiz
Eva Grdjic heißt die neue Figur des helvetischen Zeichner- und
Autorengespanns Felix Schaad und Claude Jaermann, und wie schon ihren früheren
Möchtegernhelden Zwicky kennen wir alle auch Eva bestens – sie ist niemand anders
als die Kassierin des Supermarkts unseres Vertrauens.
Das kräftige Weib mit mürrischem Gesichtsausdruck ist
Ausländerin, unter-bezahlt und den Launen ihrer Vorgesetzten und der Konjunk-tur
ausgeliefert – und hat dabei den notwendigen Mutter-witz entwickelt, um trotz aller
Rückschläge auf den unteren Stufen der sozialen Leiter zu überleben. Tag für Tag sitzt
Eva an der Kasse des Shopping Center Cosmos, betreut den Kundendienst oder füllt Regale
auf – und an ihr defiliert die ganze Gesellschaft, also auch du und ich, vorbei.
Die großen kleinen Dramen aus Evas Alltag haben Jaermann
und Schaad mit nicht selten bitterem Humor zu träfen Episoden mit langer Haltbarkeit
über die Cosmos-Data hinaus aufgezeichnet und erweisen sich auch hier als be-gnadete
Chronisten des Lebens im Shopping Center Schweiz (dessen Angebotspalette sich von der des
Shopping Centers Süddeutschland wohl kaum unterscheidet …).
Jaermann/Schaad: „Eva" (Sewicky Verlag,
24.80.-) |